Ein U-Boot

Einmal im Jahr taucht es auf.

Andere machen das zu Weihnachten und tauchen mehr aus Gewohnheit denn aus Überzeugung in der Kirche zum Gottesdienst an Heiligabend auf, ich mache das hier in meinem Blog.

Da ja inzwischen mehr als ein Jahr seit dem letzten Post vergangen ist, wäre es also wieder höchste Zeit.

Mal sehen… was gibt es denn zu berichten…

Erfreuliches zuerst:

Ich bin nach wie vor mit der gleichen Frau verheiratet. Dieses Jahr haben wir den neunten Hochzeitstag oder auch Keramikhochzeit, wie Google weiß.

Auch mit dem Schnittchen ist alles prima. Sie hat jetzt das dritte Schuljahr begonnen und ist immer noch mit Schwung und Elan dabei. Meistens jedenfalls. Sie reitet immer noch gerne und so allmählich zieht der Schwierigkeitsgrad an. Die Zeiten, in denen es darum ging einfach nur oben zu bleiben sind vorbei.

Sohn hat sein Abitur gemacht und bereitet sich jetzt auf sein Studium vor. Leider ist unsere Beziehung erheblich abgekühlt, um nicht zu sagen, sie liegt in Trümmern. Woran das liegt weiß ich nicht, es war ein schleichender Prozeß. Auf Nachfragen kam leider nichts greifbares, auch ein Gespräch hat nicht erhellendes zu Tage gefördert. Stand heute ist, das wochenlang kein Kontakt stattfindet und Versuche welchen aufzubauen kommen meistens von mir und versanden für gewöhnlich. Das belastet mich mehr, als ich mir zugeben möchte.

Sein Stiefbruder hat ebenfalls sein Abitur gemacht und startet nächsten Monat in sein duales Studium. Da dieses weiter entfernt von seinem Elternhaus stattfindet, musste er sich vor Ort eine Wohnung suchen. Bei der Erledigung all dessen, was zu so einem Schritt gehört ist er zum ersten Mal in Kontakt mit der Realität gekommen. Heißt: für viele Dinge, die bis selbstverständlich waren muß er jetzt Geld bezahlen (Internet, Strom, Wasser). Auch ein voller Kühlschrank ist plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Wäsche wird nicht mehr von selber sauber und trocken, nachdem man sie in den Wäschekorb gelegt hat. Aber er macht sich ganz gut bisher.

Die Kleine tickert so durch ihr Leben. Es gibt bessere und schlechtere Tage, aber im Großen und Ganzen geht es ihr gut (soweit ich das beurteilen kann).

Für mich war das Jahr 2019 durchwachsen. Lange überwunden geglaubte Probleme (leichte Depressionen) sind wieder aufgetaucht und es hat gedauert, sie in den Griff zu bekommen. Dummerweise waren sie teilweise so stark, das es auf die Arbeit durchgeschlagen hat. Das wurde natürlich irgendwann bemerkt und dank eines wenig verständnisvollen Chefs („Du mußt einfach Sachen machen, die dir Spaß machen. Das ist doch alles gar nicht schlimm.“ war sein ernstgemeinter Rat) war von der Seite keine Unterstützung zu erwarten. Dafür ist unser Verhältnis seitdem etwas angespannt. Gesundheitlich hätte es auch besser laufen können. Wegen des schon seit Jahren angeschlagenen rechten Knies konnte ich irgendwann kaum noch schmerzfrei laufen und im Endeffekt mußte ich im Juni 21 operiert werden. Seitdem trage ich eine Metallplatte inklusive einem halben Dutzend Schrauben in meinem Schienbeinkopf spazieren. Wenn der Orthopäde recht behält, sichert mir diese Prozedur mindestens zehn Jahre schmerzfreies Laufen.

Und jetzt zum Unerfreulichen.

Seit dem letzten Eintrag hatte sich die Gesundheit meiner Mutter immer weiter verschlechtert. Ihr Tod im Dezember 2020 war mehr Erlösung als alles andere. Bis dahin mußten wir miterleben, wie sie regelmäßig per Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Einer der traurigen Höhepunkte war der Tag, an dem ihre Nachbarn die Polizei geholt haben, weil sie bemerkt hatten, das um neun Uhr morgens die Zeitung noch vor der Tür lag. Nachdem die Polizei die Wohnung geöffnet hatte, haben sie sie im Badezimmer bewußtlos vor dem Waschbecken gefunden. Wie und wann sie dahin gekommen ist, konnte sie später nicht erklären. Ebenfalls ganz speziell das Telefonat mit der Intensivmedizinerin, die mir bei einer anderen Gelegenheit sagte, das ihre Blutgase völlig daneben sind, dieses potentiell lebensbedrohlich werden könne und man sie deshalb per Maske beatmen würde. Sollte das nicht helfen, müsse man intubieren. So weit, so schlecht. Dann aber sagen zu müssen, das laut der Patientenverfügung meiner Mutter eine Intubation nicht in Frage käme war hart. Denn das bedeutet, das sie wahrscheinlich sterben wird und das habe ich ausgelöst. Gut, ich habe nur ihren Willen ausgeführt, aber das tröstet in dem Moment überhaupt nicht, das kann ich ihnen sagen. Nummer drei der Tiefpunkte in 2020 war das Gespräch, das ich mit ihr führen mußte, nachdem mir der behandelnde Arzt in der Geriatrie bestätigt hatte, was ich schon lange geahnt, nein gewußt, hatte: sie kann nicht mehr alleine wohnen. Ihr erklären zu müssen, das sie nie wieder in geliebte Wohnung zurückkehren sondern in ein Pflegeheim ziehen wird das läßt sich kaum in Worte fassen. Ihr einige Wochen vorher nahezubringen, das sie in Zukunft zweimal täglich Besuch von einem Pflegedienst bekommen wird war schon schwer, aber nichts im Vergleich zu dieser Unterhaltung. Was diese Gespräche bei ihr angerichtet haben, vermag ich nicht ansatzweise zu ermessen.

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Menschen bedanken, die ich Laufe des Jahres kennengelernt habe, während ich versucht habe, mich durch den Dschungel des Sozialwesens zu schlagen. Viele dieser Menschen haben deutlich mehr für mich und dadurch für sie getan als sie gemußt hätten. Sie haben mir Abläufe und Zusammenhänge erklärt. Tricks und Kniffe aufgezeigt oder einfach nur Formulierungen für Schreiben genannt, die hilfreich waren. Sie haben mich auf Rechte und Ansprüche hingewiesen, die meiner Mutter zustanden, die aber nicht wirklich explizit irgendwo erwähnt wurden.

Diese sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne besondere Reihenfolge:

  • die Sozialdienste der verschiedenen Krankenhäuser
  • die Grünen Damen
  • Mitarbeiter der Techniker Krankenkasse
  • Ärzte und Pfleger der verschiedenen Krankenhäuser
  • ganz besonderen Dank an den Mitarbeiter des Heims für die Kurzzeitpflege, der einfach ein Bett fast zwei Wochen freigehalten hat, weil unklar war, wann meine Mutter aus dem Krankenhaus entlassen wird. Das hat so vieles leichter gemacht.
  • die Mitarbeiter des Pflegedienstes, die auf die kurze schnelle die Betreuung sichergestellt haben. Ohne Vorlaufzeit, ohne murren, einfach so von jetzt auf gleich

Was die Kleine in dieser Zeit für mich getan hat, kann ich kaum wieder gutmachen. Sie hat mir den Rücken freigehalten, hat an den richtigen Stellen gesprochen oder geschwiegen und mir praktisch unter die Arme gegriffen, wo es nötig war. So hat sie sich darum gekümmert, das Heimzimmer so gemütlich und ansprechend zu gestalten, wie es eben geht. Sie weiß das ich das überhaupt nicht kann und hat es also selber in die Hand genommen. Diese Entlastung war Gold wert.

Das die Götter sich diesmal verkniffen haben, mir alberne Streiche zu spielen und dadurch die Sache zu erschweren finde ich auch eine Erwähnung wert. Vielleicht waren es ja auch sie, die dafür gesorgt haben, das mein zweiter Anruf in einem Heim zwecks Platzsuche bereits erfolgreich war. Es ist, glaube ich, nicht unbedingt selbstverständlich in einem Heim in der Nähe ein sofort bezugsfähiges Einzelzimmer zu finden. Falls ihr Götter etwas damit zu tun hattet, entbiete ich euch meinen tiefempfundenen Dank.

 

Schlauschiesser