Shellshocked

Shellshocked

Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll.

Meine Mutter rief mich am Dienstag auf der Arbeit an. Das wäre zu guten Zeiten schon Grund zur Besorgnis, unter den gegebenen Umständen konnte es aber nur katastrophale Neuigkeiten bedeuten. War auch so. Panik ist ein Gemütszustand, zu dem sie überhaupt nicht neigt, aber diesmal war sie es. Sie sagte nur „Ich glaube, dein Vater ist tot.“ Dreißig Sekunden später saß ich im Auto und war unterwegs.

An dieser Stelle mal ein Lob an meinen Arbeitgeber und die Kollegen. Wenn Notfälle anstehen, ist es überhaupt kein Problem, sich darum zu kümmern.

Bei meiner Mutter angekommen bin ich sofort ins Schlafzimmer. Auch ohne jemals zuvor einen echten Toten gesehen zu haben war klar, daß er nicht mehr lebte.  Es war überhaupt nicht gruselig oder ekelig, neben einem Toten auf diesem Bett zu sitzen und seine Hand zu halten. Nach ein paar Minuten bin ich dann zu meiner Mutter gegangen und wir haben zusammen auf dem Sofa gesessen und geschwiegen. Keinem von uns ist etwas eingefallen.

Irgendwann sind wir aus dieser Starre wieder hervorgekommen und haben dann den weiteren Ablauf versucht zu ergründen. Klar war, daß mein Vater nicht die Nacht die Nacht in der Wohnung verbringen sollte. Einen Bestatter hatten die beiden sich schon überlegt, also habe ich mich ans Telefon begeben, um anzurufen. Die Telefonnummer war nicht bekannt, also führte der erste weg zur Auskunft. Folgender Dialog fand statt:

Ich: Ich bräuchte die Nummer des Bestattungsunternehmens X in Y-Stadt. Wenn vorhanden, auch die Bereitschafts- oder Notfallnummer.

Auskunft: Das wäre die 1234567. Möchten Sie verbunden werden?

Ich: Ja bitte.

Sie: mache ich. Einen schönen Abend noch.

Ich: Ich habe Sie gerade nach der Bereitschaftsnummer eines Bestatters gefragt. Was glauben Sie, wie schön mein Abend wohl sein wird?

Sie: … (lange Pause) *räusper* Ich verbinde Sie weiter…

Anschließend habe ich die Geschwister meines Vaters angerufen und ihnen die Nachricht überbracht. Beide waren, trotzdem es glasklar abzusehen war, geschockt. Die Schwester wollte mit ihrem Mann am nächsten Tag sowieso vorbeikommen (sie wohnen weiter weg), um noch mal mit ihrem Bruder zu sprechen.

Danach kam der Hausarzt, den meine Mutter auch verständigt hatte. Er stellte offiziell den Tod fest. Wir (er+ich) haben meinen Vater anschließend auf den Rücken gedreht (er lag etwas eingerollt auf der Seite) und gestreckt. Was wegen der einsetzenden Totenstarre schwieriger war, als es sich anhört.

Irgendwann ging meine Mutter dann zu den Nachbarn, die sich während der ganzen Zeit immer um sie gekümmert haben (danke dafür, auch wenn ihr es nie lesen werdet), um die Nachricht zu überbringen. Mutter und Tochter sind sofort heraufgekommen, um sich von meinem Vater zu verabschieden. Fand ich eine große Geste. Später kam der Vater noch dazu und wir haben lange zusammengesessen und über alles mögliche geredet. Währenddessen ist auch immer wieder mal jemand ins Schlafzimmer gegangen, um Abschied zu nehmen. Klänge es nicht so komisch, würde ich sagen, es war eigentlich schön. Sehr unverkrampft. Traurig, aber tröstlich. Schwer zu beschreiben.

Um neun Uhr kam dann der Bestatter um meinen Vater abzuholen und das war der allerhärteste Teil des Abends. Zu sehen, wie er auf diese Trage gelegt und in Platikfolie gewickelt wurde war schon nicht schön. Aber als er dann aus der Wohnung getragen wurde, das war brutal hart. Da war selbst bei meiner Mutter Schluß und sie konnte nicht mehr an sich halten. Zu wissen, daß er diese Wohnung, in der er die letzten 38 Jahre gelebt hat, nie wieder betreten würde, das ging an die Substanz.

Das muß erstmal reichen. Den Rest der Woche schreibe ich ein andermal auf.

Schlauschiesser

1 Kommentar bisher

Sandra (Dirk T.) Veröffentlicht am12:11 - 9. November 2009

Lieber Schlauschiesser,
das Gefühl wie es ist, seinen Vater zu verlieren, kenne ich (leider) nur zu gut… der Eine geht plötzlich und völlig unerwartet, der Andere still und leise, wieder ein Anderer qualvoll. Egal wie es passiert, das traurige Ergebnis bleibt dasselbe. Man fühlt sich leer, ohnmächtig, traurig, wütend…jeder verarbeitet die Trauer und diese Tatsache ganz individuell. Aber eines kann ich aus Erfahrung sagen: Lass die Trauer zu, mit all ihren Facetten, denn irgendwann holt sie dich sowieso ein. Rede, wenn dir nach reden ist, schweige, wenn dir nach schweigen ist und auch Tränen schaden nie… Es ist jemand von dir gegangen, der dich dein ganzes Leben lang begleitet hat, über den du dich geärgert hast, aber mit dem du auch lachen konntest. Sei froh darüber, dass er noch so viel von deinem Leben mitbekommen hat und daran teilhaben durfte, dass er deinen liebenswerten Jungen kennenlernen durfte. Das alles ist meinem Vater verwehrt geblieben. Irgendwann hört es auf sich so anzufühlen wie jetzt. Das Leben geht weiter, wie es so schön heißt, aber keiner sagt, WIE…. in welcher Qualität… aber diese Steuerung übernimmt jeder selbst…Dein Vater bleibt immer ein Teil von dir und ist – wenn auch nicht sichtbar – weiterhin da (noch so eine Floskel, aber mir helfen sie)… ich wünsche Dir und Deiner Familie, aber genauso deiner Freundin, viel Kraft!!! Alles Liebe Sandra (Freundin von Dirk T.)