Ich verstehe ihn nicht

Ich verstehe ihn nicht

Sohn gehört ja nicht von Haus aus zu den allerdraufgängerischsten. Man könnte auch ohne Übertreibung sagen, daß er eher vorsichtig und zurückhaltend ist und das Risiko scheut. Neuem ist er auch eher abhold, ist dort aber (je nach Tagesform, Luftdruck und Mondphase) schon für kleinere Experimente offen.

Trotzdem waren wir (er, die Kleine (meine Freundin) und ich) im Hochseilgarten.

Für die, die so etwas nicht kennen, hier eine kurze Erläuterung. Bei einer solchen Einrichtung handelt es sich um ein, zumeist bewaldetes, Gelände. Zwischen den Bäumen sind in verschiedenen Höhen Stahlseile gespannt, an deren Ende sich eine Plattform befindet, die fest mit dem Baum verschraubt ist. Aufgabe des Kletternden ist es nun, sich über die Seile von Plattform zu Plattform zu bewegen. Um die Herausforderung zu erhöhen sind die verschiedensten Hindernisse vorgesehen. Zwei parallel laufende Seile zum Beispiel, zwischen denen Äste verspannt sind, das Ganze ähnelt einer liegenden Leiter. Nur in sehr sehr wackelig und einigen Metern Höhe. Oder es stehen Holbalken im Weg, um die man herumklettern muß, um auf die andere Seite zu gelangen. Gesichert ist man natürlich auch und zwar mittels zweier Karabiner, die an einem Sicherungsseil eingehakt werden und am Klettergeschirr befetigt sind, welches man angelegt bekommt bevor der Spaß beginnt. Die Aktion macht einen Höllenspaß (sofern man nicht unter Höhenangst leidet. Dann endet der Spaß direkt nach dem Einstieg), ist aber körperlich eine Herausforderung für den Ungeübten (z.B. uns drei).

Zurück zum Thema. Sohn hat die magische Grenze von 140cm Körpergröße hinter sich gelassen und ist somit befugt, alle „großen“ Parcoure zu betreten. Bis auf einen, aber der ist sowieso nur für Fortgeschrittene oder Leute mit mangelhafter Selbsteinschätzung. So sind wir denn also los. Nach der Einweisung in den Gebrauch der Ausrüstung sind wir direkt in den sogenannten Funparcours F1 eingestiegen. Zum einen, weil der sehr leer aussah, zum anderen weil uns erklärt wurde, es handelte sich um die leichteste der drei Funstrecken. Außerdem nicht unwichtig bei der Streckenwahl: die Kleine hat so etwas noch nie gemacht und war sich nicht sicher, wie sie das finden wird und Sohn sollte sich auch erstmal ein bißchen warmmachen und sich ein Bild verschaffen, was Klettern in fünf Metern Höhe bedeutet. Denn bisher kannte er nur die Kinderparcoure und die sind maximal zwei Meter hoch. Die Reihenfolge, in der wir uns der Herusforderung stellen wollten war auch schnell gefunden: erst ich, dann das Kind, dann die Kleine. So ist sichergestellt, daß Junior nie alleine auf einer Plattform steht und immer jemand da ist, der ihm bei eventuellen Problemen mit der Sicherung helfen kann (völlig unnötig, wie sich herausstellte, der handhabt das wie ein Alter). Außerdem kann er sich dann angucken, wie ich das mache und vielleicht aus meinen Fehlern lernen.

Der F1 war schieres Vergnügen. Keiner bekam Probleme irgendwelcher Art, alle hatten Spaß. Derart beflügelt sind wir dann zum Marathonkurs gewechselt. Der heißt so, weil er aus 42 Hindernissen besteht. Allerdings hat man die Möglichkeit an drei Stellen auszusteigen, wenn man das möchte. Außerdem bietet er *die* Attraktion: eine 200 Meter lange Seilrutsche. Ein Knaller. Etwas, auf das Sohn scharf ist, seit er sie zum ersten Mal gesehen hat. Die Schlange vor dem Einstieg war dementsprechend von beachtlicher Länge.

Nach kurzer Beratung sind wir zu dem Schluß gekommen, erstmal eine andere der drei Funstrecken zu bewältigen und dann zurückzukehren und auf eine kürzere Warteschlange zu hoffen. Diesmal war der F3 dran. Die aufsteigende Nummerierung deutet auch auf einen steigenden Schwierigkeitsgrad hin. Das er aber so steil ansteigen würde war mir nicht klar. Fiesestes Hindernis war eine dieser liegenden Leitern (s.o.), deren Anfang ca. einen Meter unter der Plattformkante lag und die in der Mitte einen 90° Knick nach oben machte. Das war richtig ätzend. Die Kleine hat auch prompt das Gleichgewicht verloren und ist in die Sicherung gefallen, die einwandfrei funktioniert hat. Trotzdem hat sie sich zu Tode erschrocken. Klar, wenn man in sechs Metern lichter Höhe fällt, ist der erste Gedanke nicht „Macht nix, bin ja gesichert.“. In diesem Hindernis hat Sohn mir zum ersten Mal Hochachtung abgenötigt. Obwohl das Bezwingen für ihn aufgrund seine Körpergröße noch schwerer sein muß als z.B. für mich, hat er es problemlos gemeistert. Dabei ist er ruhig, besonnen und planvoll vorgegangen, hat sich bei Schwierigkeiten nicht aus dem Konzept bringen lassen und hat, wo nötig, eine eigene Methode zum Weiterkommen entwickelt. Als er endlich bei mir auf der Plattform stand war ich so stolz auf ihn, wie ein Vater nur sein kann.

Nachdem der F3 besiegt war sind wir, leicht angeschlagen und ausgepumpt, plangemäß wieder zum Marathonkurs gewechselt. Die Schlange war, wie erhofft, deutlich kürzer. Ich habe Sohn dann noch mehrfach eindringlich gefragt, ob er sich das wirklich noch zutraue, es sei keine Schande, sondern klug, es sein zu lassen, wenn man fürchtet, daß die Reserven nicht mehr ausreichen. Er wollte. Und was soll ich sagen: er hat die ersten zwölf Hindernisse dieses Kurses (bis zur Rutsche) einwandfrei gemeistert. Obwohl diesem Kurs kein bißchen „Fun“ mehr anhängt. Der ist deutlich auf Leistung getrimmt. Bei einer Kletterhöhe von bis zu sechzehn Metern darf man sich auch nicht den Anflug von Höhenangst leisten. Aber auch hier hat er sich ruhig, besonnen und planvoll durchgearbeitet. Mit jedem Mal, wo er aus einem Hindernis auf meine Plattform geklettert ist bin ich stolzer auf den kleinen Mann geworden. Was er dabei an körperlicher Anstrengung geleistet haben muß, kann ich mir gar nicht vorstellen. Aber auch die Kleine ist über sich herausgewachsen. Sie hat noch nie vorher so etwas gemacht und hat trotz des Sturzes weitergemacht, was ihr weiß Gott nicht leichtgefallen ist. Das konnte man ihr deutlich ansehen.

Nachdem wir dann die Seilrutsche mit Gejohle und Gejubel hinter uns gebracht haben, sind wir dann auch aus dem Kurs ausgestiegen. Es reichte allen dreien. Sohn ist noch während des Vorlesens abends eingeschlafen und hat heute morgen bis nach halb neun gepennt. Dafür hat er dann auch den großartigen Vorschlag gemacht, man könne doch schwimmen gehen. Sehr witzig, ich bin froh, daß ich die Arme halbwegs schmerzfrei bewegen kann und das Kind will schwimmen gehen.

Um auf den Titel zurückzukommen: ich verstehe nicht, wie dieses Kind sich mit einem solchen Selbstvertrauen und Mut in zehn Metern Höhe durch die Bäume bewegt, aber es gleichzeitig kaum schafft, auf einen Baum im Garten der Kleinen zu steigen. Es fehlt ihm dabei nicht an Geschicklichkeit, sondern an dem Mut, es einfach mal zu probieren. Es wohnen zwei Seelen, ach, in seiner Brust will mir scheinen. Egal, ich bin stolz wie selten auf ihn und habe ihm das auch mehrfach gesagt.

Schlauschiesser

1 Kommentar bisher

Henning Veröffentlicht am08:39 - 4. Juni 2011

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